Deborah Schamoni

Mauerkircherstr. 186

D-81925 München

Wednesday – Friday 12 – 6 pm

Saturday 12 – 4 pm and by appointment

Mariann Metsis
Bals des victimes

06.12.24 – 20.02.25

En / De
  • Whether the French decadents of the postrevolutionary generation really gathered at Victims’ Balls or not, they fantasized about doing so, passing these fantasies on through generations, all the way to us.
    – Alexander Etkind 

    Deborah Schamoni is pleased to present Mariann Metsis’ first solo exhibition with the gallery and in Germany. Bals des victimes consists of a series of new works painted specifically for the space. 

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    Bals des victimes is the ghost of the violence of the Revolution. One that was needed then and might be needed now. Metsis cuts the linearity of historical reference by working with both propaganda infused traces of Socialist Realism inherent to art in Estonia where she grew up and the moment of contemporary accelerationism present in London where she resides. The works are presented in groups, creating conversations between the subjects. On the first two paintings, one encounters a woman in office clothes with her hands in the air mid-expression, with a submissive greyhound on her side – one is in the search from answers from another. 

    Throughout the gallery one is confronted by the gaze of animals, whilst the human figures hide in the hue. Walking down the room a lazy seal stares back at you, whilst a wild sheep is in the midst of what looks like a nervous breakdown. Characterized to the history of painting in Estonia, the abstraction has not been reached through figuration but through colours, layers and associations. The context remains undefined whereas the protagonists become subject to the viewers association and memories in recognizing who they might be and what might they be going through. A notion written into the history of figuration in Post-Soviet spaces emerges due to the state censor and having to hide subtext in art that would visually look socialist realist in passing. 

    On the wall opposite the duo is a triptych of theatre binoculars, a figure in a gown and yet another dog. All three playing with spectatorship informed by the hyper fast, image obsessed globalism forcing us into roles to enact. Performativity is a theme present throughout the show – a seal with a ball on its nose triggers a bittersweet feeling of nostalgia, the domestication of animals and training them to entertain us. Metsis exposes the similarity of the visual compositions once scraped from signifiers, whether it is propaganda posters or red-carpet paparazzi shots that we talk about. Through the work, Metsis ruminates about how history functions: the past is not dead; it insists, returns, and contaminates the present. Her nonlinear treatment of time thus reveals the illusion of historical progress, unfolding in the pentimenti of the painting. 

    In 2022, one of the last independent TV-channels in Russia The Rain was forced to close by the government, they ended their last news reading with the whole staff leaving the room, followed by an extended play of Swan Lake by Pyotr Tchaikovsky. The contemporary is said to be haunted by the ghost of communism that never was, but what would the ball of the ghosts that actually were look like? 

    Text: Niina Ulfsak  


    Mariann Metsis (b. 1991) was born in Tallinn, Estonia, and has lived in London for over a decade. She studied at Central Saint Martin College of Art & Design in London; The Academy of Fine Arts Vienna; and obtained a BA in Fine Arts from the Slade School of Fine Art, University College London.

  • Egal, ob die dekadenten Französ*innen der nachrevolutionären Generation sich wirklich auf Opferbällen getroffen haben oder nicht, sie fantasierten darüber – und reichten diese Fantasien über Generationen hinweg weiter bis an uns.
    – Alexander Etkind 

    Deborah Schamoni freut sich, die erste Einzelausstellung von Mariann Metsis in der Galerie und in Deutschland ankündigen zu können. Für Bals des victimes präsentiert Metsis eine Reihe neuer Arbeiten, die eigens für die Ausstellung entstanden sind. 

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    Bals des victimes – das sind die Gespenster der revolutionären Gewalt. Gespenster, die damals gebraucht wurden, und die man vielleicht auch heute wieder braucht. Metsis aber durchtrennt lineare historische Bezugnahmen, weist ihre Arbeit doch ebenso Spuren eines propagandagetränkten Sozialistischen Realimus auf, wie man sie in der Kunst Estlands finden kann, wo sie aufwuchs, wie der gegenwärtigen akkzelerationistischen Verfasstheit einer Stadt wie London, wo sie lebt. Zwischen ihren Arbeiten, die sie in Gruppen präsentiert, entwickelt sich ein Dialog. So zeigen die ersten beiden Malereien eine Frau im Business-Outfit, die Hände in einer Geste erhoben, daneben ein unterwürfiger Greyhound – die eine Seite wartet auf Antwort der anderen. 

    Sowieso scheinen Tiere die Betrachter*innen überall in der Galerie anzublicken, wohingegen sich die menschlichen Figuren in die Schattierungen zurückziehen. Geht man durch den Raum, so starrt ein fauler Seehund zurück, und ein wildes Schaf erleidet eine Art Nervenzusammenbruch. Abstraktion entwickelt sich hier – charakteristisch für die Malereigeschichte Estlands – nicht aus der Figuration heraus, sondern in den Farben, Schichten und Assoziationen. Der Kontext mag vage bleiben, die Protagonist*innen dieser Bilder aber werden beim Versuch, zu begreifen, was man hier vor sich hat, den Assoziationen und Erinnerungen der Betrachtenden unterworfen. Es ist ein Verständnis von Abstraktion, das seinen Hintergrund in der Geschichte der Figuration im postsowjetischen Raum hat – entstanden, um angesichts staatlicher Zensur Werke zu schaffen, die für den flüchtigen Blick nach Sozialistischem Realismus aussahen, aber über einen verborgenen Subtext verfügten.

    Auf der diesem Duo gegenüberliegenden Wand findet sich ein Triptychon mit einem Theaterfernglas, einer Figur im Abendkleid und einem weiteren Hund. Alle drei Motive spielen mit dem Prinzip der Betrachtung, informiert von einer hyperschnellen, bilderbesessenen Globalisierung, die uns Rollen auferlegt, die wir ausüben gezwungen sind. Performativität zieht sich als Thema durch die ganze Ausstellung – der Seehund, der einen Ball auf der Nase balanciert, ruft dabei eine bittersüße Nostalgie hervor: ein Tier, domestiziert und trainiert, um uns zu unterhalten. Jenseits der konkreten Motivik streichen diese Bilder gerade die Ähnlichkeit in der visuellen Komposition heraus: Im Grunde ist es egal, ob man es mit einem Propagandaposter zu tun hat oder mit Paparazzi-Fotos vom roten Teppich. Metsis begreift ihre Bidler als Vehikel, um über die Funktionsweise von Geschichte nachzudenken – was vergangen ist, ist nicht tot; es insistiert, kehrt zurück und verunreinigt die Gegenwart. So nonlinear, wie Zeit hier behandelt wird, erscheint der historische Fortschritt als eine Illusion, sichtbar gemacht in den Pentimenti der Malereien.

    2022 musste einer der letzten unabhängigen TV-Sender Russland, The Rain, auf Druck der Regierung seinen Betrieb einstellen. Am Ende der letzten Nachrichtensendung verließ die gesamte Belegschaft den Raum, dann erklang in Länge Piotr Tschaikowskys Schwanensee. Man sagt, es sei das Gespenst eines nie voll realisierten Kommunismus, der die Gegenwart heimsucht. Wie aber soll man sich den Ball jener Gespenstern vorstellen, die es wirklich gab? 

    Text: Niina Ulfsak (übersetzt aus dem Englischen)


    Mariann Metsis (geb. 1991) wurde in Tallinn, Estland, geboren, und lebt seit über einer Dekade in London. Sie studierte am Central Saint Martin College of Art & Design in London; der Akademie der bildenden Künste Wien; und graduierte von der Slade School of Fine Art, University College London.